erschienen 1983 im Verlag H.L. Schlapp, Darmstadt
Auszug: Eine Wanderung im Westwald
von Wolfgang Dziuk
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
von Verlag, Autor und Illustrator
Hinzugefügte Abschnitte und Anmerkungen sind kursiv dargestellt.
Die Tanne nennen die Darmstädter den Kiefernwald westlich der Stadt. Er bildet einen natürlichen Schutzgürtel gegen die unangenehmen Sandstürme aus der Hauptwindrichtung Südwest. Die Kiefer mit
ihrer tiefreichenden Pfahlwurzel findet in diesem Flugsandgebiet ausgezeichnete Lebensbedingungen.
Am Darmstädter Hauptbahnhof, dem Ausgangspunkt unserer Rundwanderung durch die Tanne, wenden wir uns nach Norden und gelangen über die Poststraße, Goebelstraße und Bismarckstraße zur Dornheimer
Brücke, von wo wir einen umfassenden Überblick über die Gleisanlagen des Haupt- und Güterbahnhofs haben. Wir überqueren die Brücke und gehen auf dem Dornheimer Weg geradeaus in westlicher
Richtung. Hier nehmen wir unser Wanderzeichen (Markierung: Grüne Tanne auf weißem Grund) auf, dem wir folgen wollen.
Nach 30 Minuten biegen wir vor der Brücke über die Autobahn mit der Markierung rechts ab in die Untere Falltorschneise, um dann in den zweiten Weg links, den Landwehrweg, einzubiegen. Mit der
asphaltierten Feldschneise unterqueren wir die Autobahn Darmstadt-Frankfurt/Main und überqueren den Darmbach sowie die Gleise der stillgelegten Eisenbahnstrecke Darmstadt-Worms. Wo der Weg wieder
nach Westen abbiegt, sehen wir die Brunnenstuben des Wasserwerks der Chemischen Fabrik E. Merck, das diese mit Trink- und Brauchwasser versorgt.
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Wir nähern uns nun dem Gehaborner Hof. Diese schon 1162 urkundlich erwähnte Meierei ging im 12. Jahrhundert von dem Reichsministerialen Dragebodo von Dornberg in den Besitz der Rheingauer
Zisterzienserabtei Eberbach über und entwickelte sich zu einem bedeutenden Klosterhof und wichtigen Wirtschaftszentrum. Die Gehaborner Mönche mußten übrigens die nötigen Gespanne zwischen
Darmstadt und Stockstadt am Rhein stellen, da die Stadt verpflichtet war, den Katzenelnbogener Grafen auf ihrer Burg Rheinfels allerlei Waren für die Hofhaltung zu liefern. Später erwarb Landgraf
Georg I. (1547-1596) das Gut und ließ 1579 dort Karpfenteiche anlegen. Reste der alten Befestigungswälle und Gräben sind noch heute zu erkennen. Seit 1895 ist der Hof im Besitz der Stadt. Der an
der Südseite vorbeifließende Darmbach füllte noch zu Goethes Zeiten einen Weiher, auf dem dieser mit seinem Freundeskreis, den „Empfindsamen", Kahnfahrten unternahm (Wegstrecke 4 km).
Nördlich der Anlage verlassen wir auf dem zweiten Feldweg den nach Weiterstadt führenden Mühlenweg nach links in westlicher Richtung. Auf der Falltorschneise geht es erst durch Spargelfelder,
dann im Wald weiter.
An der ersten Kreuzung biegen wir im stumpfen Winkel links in die - hier nicht bezeichnete - Salzlackschneise ein (nicht im spitzen Winkel in die Braunshardter Haus-Schneise!). Alsbald überqueren
wir wieder den Darmbach, der die geklärten Abwässer der Stadt mit sich führt. Im Mittelalter wurde das Schmutzwasser in den offenen Darmbach geleitet; später überwölbte man ihn und deckte ihn ab.
Im 16. Jahrhundert wurden vereinzelt die ersten Kanäle angelegt, die aber nicht hygienisch einwandfrei funktionierten, weil Abwässer durch die porösen Ziegelsteine in den Boden gelangen konnten
und dadurch das Grundwasser verunreinigten. Als der Wasserverbrauch nach Inbetriebnahme des Wasserwerks im Jahre 1880 erheblich anstieg, legte man auf dem Gelände des Gehaborner Hofes
Rieselfelder an, die die Abwässer aufnehmen sollten.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Jahre 1957 an der Mainzer Straße, unmittelbar westlich der Bahnlinie, die erste Stufe der städtischen Kläranlage erbaut, von der die gereinigten Abwässer
in den Darmbach geleitet werden. Unmittelbar neben dem Bach sehen und riechen wir die Rückhaltebecken. Nach 200 Metern überschreiten wir den Dornheimer Weg und sehen rechts ein weiteres
Versickerungsbecken.
Wir gehen nun am Waldrand weiter und unterqueren mit der stillgelegten Bahnlinie die Autobahn Darmstadt-Wiesbaden. Unmittelbar hinter der Brücke gehen wir mit unserem Wanderzeichen in südlicher
Richtung weiter. Am Schnittpunkt Rentnerweg/Kreuzweg beginnt der großflächig angelegte Griesheimer Waldspielplatz. Auf diesem Freizeitgelände gibt es mehrere Schutzhütten, Ballspielplätze, eine
Wildweststadt, Rutschbahnen, Kletterpfähle und -bäume, Schaukeln und an der südlichen Begrenzung ein mit Leitungswasser gespeistes Brünnchen. Hier finden wir gute Rast- und Spielmöglichkeit (7
km).
(Der markierte Weg führt dann an der Gerhart-Hauptmann-Schule vorbei zur Wilhelm-Leuschner-Straße und der Straßenbahnhaltestelle St. Stephan.)
Wir gehen nun ohne Wanderzeichen auf dem Alten Darmstädter Weg nach Osten und kommen nach einem Rechtsbogen an der westlichen Autobahnbrücke auf die Wilhelm-Leuschner-Straße, die wir hier
überqueren. Auf ihrer Südseite wenden wir uns wieder nach Osten in Richtung Darmstadt, überschreiten beide Autobahnbrücken und biegen in der Siedlung Tann in die zweite Querstraße, Am Kellerweg,
rechts ein (9 km).
Der Waldweg führt uns zur Trümmer- und Sperrmülldeponie, vom Volksmund „Monte Scherbelino" genannt. Nach der Brandnacht des 11./12. September 1944 war die Stadt Darmstadt ohne die Vororte
zu 78% zerstört. Ganze Straßenzüge waren völlig ausgebrannt, mehrere Stadtviertel wegen Einsturzgefahr nichtbewohnt. 1945/46 begannen die planmäßigen Aufräumungsarbeiten, wobei die verbliebenen
Bewohner - allen voran Oberbürgermeister Ludwig Metzger - kräftig Hand anlegten. Die Trümmer wurden auf drei Kleinbahnstrecken über die Bismarck-, Rhein- und Heinrichstraße zum westlichen
Stadtrand transportiert. Ein Teil wurde auf dem ehemaligen Exerzierplatz an der heutigen Berliner Allee wieder zu Bausteinen verarbeitet, während der unbrauchbare Trümmerschutt hier unmittelbar
an der Autobahn zu einer unübersehbaren Halde aufgeschüttet wurde.
Der „Monte Scherbelino" ist ein Teil der sog. Bodenkippe West, die als Abfallbeseitigungsanlage für Bodenaushub, Bauschutt, Müllschlacke und Klärschlamm dient. Sie ist in ihrer Betriebsführung
und Planung so angelegt, daß nach Abschluß der Schüttung die Rekultivierung abschnittweise erfolgen kann. Ziel der Rekultivierung ist, im Westen der Stadt ein interessantes Naherholungsgebiet zu
schaffen, dessen Reiz man jetzt schon im Bereich des „Monte Scherbelino" erahnen kann.
Nach dem Bestockungsgrad der rekultivierten Flächen sollen Teilflächen der Öffentlichkeit bereits in naher Zukunft zur Verfügung gestellt werden und vor allem der „Monte Scherbelino" im Jahre
1984 zugänglich sein. Bis dahin kann der Besuch aus Haftungsgründen nur mit einer besonderen Genehmigung des Gartenamtes erfolgen. Wenn uns also ein Besuch möglich ist, können wir vom westlichen
Trümmerberg einen prächtigen Blick auf Darmstadt und auf den lebhaften Verkehr der beiden Autobahnen genießen. Im Südwesten liegt der kleine Militärflugplatz „Griesheimer Sand". Bei günstiger
Witterung können wir im Norden den Feldberg im Taunus erkennen (42 km) und im Südosten die Neunkircher Höhe (20 km); mit dem Uhrzeiger drehend, entdecken wir noch den Frankenstein (7 km), den
Felsberg (15 km), den Melibokus (15 km), den Wormser Dom (30 km), die Gernsheimer Kirche (15 km), das Pfälzer Bergland mit dem Donnersberg (55 km), im Westen die Katharinenkirche in Oppenheim (17
km), dann den Mainzer Dom (23 km), den Schornstein der Opelwerke in Rüsselsheim (20 km) und schließlich die Caltex-Raffinerie in Raunheim (20 km). Wir verlassen die Bodenkippe West wieder durch
das am Ostende gelegene Tor in östlicher Richtung und folgen nun dem Bessunger Weg halblinks (nicht der unmittelbar parallel verlaufenden Nummer-Eins-Schneise!). Dieser alte Weg von Bessungen
nach Griesheim wurde als Trasse für die oben erwähnte Trümmerbahn benutzt. Kurz nach Überqueren der Damenschneise erkennen wir rechts und links teilweise gepflasterte Wasserläufe, die bei starken
Regenfällen die unter dem Weg herangeführten überschüssigen Wassermassen in die „Tanne" leiten, damit sie dort versickern.
Am Waldrand biegen wir links ab in die Bergschneise und überqueren alsbald den teilweise eingeebneten und als Kiefernschonung genutzten früheren Schießplatz. In Sichtweite der Rheinstraße
schwenken wir rechts in die Salzlackschneise ein, kommen zwischen den Wohnblocks auf den Pupinweg und dort links über einen kleinen Weg zur Rheinstraße. Hier biegen wir rechts ein und gelangen in
einer Viertelstunde wieder zum Hauptbahnhof (14 km).
Anmerkungen: Den „Monte Scherbelino" kann man schon längst besteigen. Die „gepflasterten Wasserläufe" im Bereich der Damenschneise haben ihre Funktion verloren. Überschüssige Regenmassen
werden nicht mehr in den Wald geleitet, sondern viel weiter nördlich in den Darmbach.
Die Ausweisung als „Schonwald" hat die Wünsche der Straßenbauer aber nicht endgültig ausbremsen können. Daher soll der Wald zum „Bannwald" erklärt werden.
von Wilhelm Andres
Auszüge für den Westwald
mit einem Ausblick von Arnulf Rosenstock
© Reba-Verlag GmbH, 1988 Gesamtherstellung: Darmstädter Echo, Verlag und Druckerei GmbH, Darmstadt Umschlaggestaltung: Walter Haarmann Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Witwe des Verfassers Hinzugefügte Abschnitte und Anmerkungen sind kursiv dargestellt. |
Vorwort
Darmstadt nennt sich nicht ohne Stolz die „Stadt im Wald". Ein Blick auf die Landkarte bestätigt, daß es mit Fug und Recht geschieht. Die Stadt ist in der Tat von einem dichten Kranz schönster
Wälder eingefaßt. Nur wenige deutsche Städte vermögen eine solch prächtige Umrahmung vorzuweisen.
Die Zeit scheint herangereift, den schmucken Beinamen unserer Heimatstadt wieder stärker in das öffentliche Bewußtsein zu rücken. Ist doch der Wald heute in mehrfacher Weise eindrücklich in unser
Denken und Fühlen getreten.
Die ständig länger werdende Freizeit findet zu ihrer sinnvollen Ausfüllung in unserem schönen Forst ein besonders attraktives Angebot. Unsere Bürger finden am Wochenende, nach Feierabend oder als
Senioren tagsüber unter den grünen Kuppeln des Waldes Entspannung und Erholung.
Aber auch in anderer Hinsicht beschäftigt uns der Wald von Tag zu Tag mehr. Eine tiefe Beunruhigung über seine Zukunft hat uns ergriffen bis hin zur Angst, er könnte zugrundegehen. Im Grunde
unseres Herzens sind wir ratlos, was geschehen soll.
Ein Blick in die Vergangenheit des Darmstädter Forstes kann uns hilfreiche Erkenntnisse vermitteln. Die Beschäftigung mit seinem Werdegang bringt nämlich zutage, daß die augenblickliche Misere
nicht der erste Sündenfall gegenüber dem Kleinod Wald ist. Unser Forst ist schon früher in seiner Existenz von den Menschen mehrfach bedroht worden und hat überlebt.
Wir erfahren, auf welche Weise der Forst die Heimsuchungen überstanden hat. Fehlendes Wissen kann uns zuwachsen, helfende Einsichten können sich uns auftun, und eine neue Zuversicht könnte uns
geschenkt werden.
So lade ich den verehrten Leser ein, mit mir die Reise in die wechselvolle und lehrreiche Vergangenheit des Darmstädter Waldes anzutreten.
Anmerkung: Ausgerechnet 1937, als in den Westwald neue Kasernen geholzt wurden, gab der Lehrer J. A. Hohenner aus Marburg einem in Darmstadt gedrehten Normal-Acht-Film den Titel „Die Großstadt
im Walde“.
Der Darmstädter Wald ist seiner Herkunft nach kein einheitlicher Forst. Der grüne Kranz um unsere Stadt ist vielmehr aus den Waldungen verschiedener Nachbargemeinden gewunden. Erst im Lauf der
letzten hundert Jahre sind diese Teilstücke zu dem Darmstädter Wald zusammengefügt worden.
Geschehen ist dies durch eine Reihe von Eingemeindungen stadtnaher Vororte. Den Anfang machte 1888 das Dorf Bessungen. 1937 wurden gleich zwei Vorortgemeinden, Eberstadt im Süden und Arheilgen im
Norden, in die Stadtgemeinschaft eingegliedert. 1977 wurde schließlich als vorläufig letztes Mitglied das Dorf Wixhausen in die Darmstädter Großfamilie aufgenommen. Das Werben um einen
Stadtanschluß bei anderen Nachbargemeinden, wie Griesheim und Roßdorf, blieb unerhört.
Fast alle „Angeheirateten" brachten als Mitgift ein zum Teil erhebliches Waldgeschenk mit. Zu dem bisherigen städtischen Waldbesitz, nämlich dem „Darmstädter Oberwald" im Osten und der
„Darmstädter Tanne" im Westen, steuerte vor hundert Jahren das Dorf Bessungen seinen Ostwald, „Bessunger Laubwald" genannt, nebst einem kleinen Teil Nadelwald, die „Bessunger Tanne", bei.
Besonders willkommen war das Waldgeschenk, das die Eberstädter vor 50 Jahren mitbrachten. Es war zum überwiegenden Teil reines Gemeindeeigentum. Schon deshalb ist zu verstehen, daß die
Eberstädter Ortsbürger die Eingemeindung viel schwereren Herzens erlebten als die Arheilger. Diese brachten zwar eine noch größere Waldfläche für den gemeinsamen Darmstädter Forst mit, aber nur
ein kleiner Teil kam dem Stadtsäckel zugute. Der Löwenanteil des Arheilger Waldes gehörte längst dem Staat.
Die Einzelteile des Darmstädter Waldes blicken also auf eine ganz unterschiedliche Herkunft zurück. Und doch entstammen alle einer gemeinsamen Wurzel. Diese soll zunächst aufgezeigt werden.
Dazu müssen wir den Blick weit zurückwenden bis in die frühe Entwicklungsgeschichte unserer Erde, zurück bis in die letzte Eiszeit. Die Forscher setzen diese etwa 20.000 bis 25.000 Jahre vor unserer Zeit an.
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In dieser Kälteperiode war die damalige Pflanzenwelt und damit auch der Wald den Erfrierungstod gestorben. Auch unsere Gegend war mit einem dicken Eispanzer bedeckt. Die Frage erhebt sich, wie
der nacheiszeitliche Wald wieder erstanden ist.
Anm.: Für ein Vordringen der Gletscher aus Norden oder aus Süden bis ins Rhein-Main-Gebiet gibt es allerdings keine Belege.
Es gilt heute als erwiesen, daß sich die Reste der voreiszeitlichen Flora südlich eines Riegels halten konnten, den die europäischen Gebirge der Alpen, der Pyrenäen und des Balkans bildeten. Von
dort aus wanderten, als Mitteleuropa wieder langsam eisfrei wurde, die Waldbäume in die sich erwärmenden Zonen zurück. Diese Rückkehr vollzog sich je nach Baumart mit unterschiedlicher
Geschwindigkeit.
Ein Wort zu den Untersuchungsmethoden, die zur Aufhellung dieser allmählichen Rücksiedlung angewandt wurden: Nicht Stammteile, Früchte oder gar Samen lieferten die Beweisstücke, sondern
ausgerechnet die zartesten Pflanzenteilchen erwiesen sich als die zuverlässigsten Zeugen. Es waren die Pollen, der so rasch vergehende Blütenstaub. In Mooren und sonstigen Gewässern, die von
Menschenhand nicht gestört wurden, blieben die Pollen konserviert. Trotz ihrer Kleinheit waren sie verhältnismäßig sicher voneinander zu unterscheiden. So gelang es, eine wissenschaftlich
fundierte Zeittafel für die Rückkehr der einzelnen Baumarten aufzustellen.
Pollenuntersuchungen lassen als gesichert erkennen, daß als erster Waldbaum die Kiefer neben anderen Pionierbesiedlern aus den südlichen Zufluchtstätten in unsere Heimat zurückkehrte. Warum
gerade sie?
Zwei Eigenschaften waren es, die diesem Nadelbaum die frühe Rückkehr in unsere Gegend ermöglichten. Die Kiefer konnte ziemlich viel Frost vertragen, und sie war sehr wassergenügsam. Ihre
Frosthärte war nötig, um die unwirtlichen Kältegrade der frühen Nacheiszeit zu ertragen. Die ihr eigene Genügsamkeit ermöglichte es ihr, bei dem nun einsetzenden ungewöhnlichen Trockenklima mit
den mageren Sandböden auszukommen.
Schließlich bestimmte eine weitere Eigenschaft der Kiefer die Besonderheit des postglazialen Waldbildes. Es war ihr starkes Lichtbedürfnis. Dieser Hunger nach Licht hinderte den Nadelbaum,
geschlossene Forste zu bilden. So bestimmten Einzelbäume oder höchstens lichte Horste die frühe nacheiszeitliche Landschaft.
Damit klärt sich auch der scheinbare Widerspruch auf, daß die Spuren der frühen Besiedlungsstufen zum größten Teil in Gebieten unserer Heimat gefunden wurden, die heute mit dichten Wäldern
bestanden sind. Wald gilt ja als siedlungsfeindlich. Die heutigen Darmstädter Waldungen waren einst eine steppenartige, sandige Landschaft mit einem schütteren Bestand von Nadelbäumen. Darum
haben sich die frühen Siedler gerade hier niedergelassen.
Es dauerte Jahrtausende, bis für die Kiefer eine Konkurrenz in unsere Heimat eindrang. Die Wissenschaftler sehen den Beginn einer neuen Entwicklung um 5000 v. Chr. - Nachdem bis dahin das
Waldbild von der Kiefer bestimmt worden war, trat nun die Eiche auf den Plan. Nach und nach bildete dieser Baum auch mit anderen Arten, vor allem mit der Ulme und der Linde, lichte Mischwälder.
Sehr stark ist die herrschende Kiefer von der Eiche offenbar nicht bedrängt worden. Die Schicksalsstunde des Nadelbaumes schlug in unserer Gegend erst im letzten Jahrtausend vor der Zeitenwende
mit dem Auftreten der Buche. Das soll um 700 v. Chr. gewesen sein.
Als entscheidende Ursache der damals einsetzenden Veränderung des Waldbildes gilt für die Wissenschaft ein folgenreicher Klimawechsel. Es vollzog sich ein Übergang von einem ausgesprochenen
Landklima zu einem typischen Seeklima. Es wurde regnerisch mit kühlen Sommern und milden, gemäßigten Wintern. Solche Wetterverhältnisse waren die Voraussetzung für das Vordringen des zweifellos
kräftigsten Waldbaumes, eben der Buche.
Durch ihren Drang, dichte, geschlossene Waldungen zu bilden, nahm sie der Kiefer deren wichtigste Voraussetzung zum Überleben, das Licht. Dazu verschlechterten sich noch weitere klimatische
Bedingungen für das Nadelgehölz. Die zunehmende Vernässung bekam ihr ganz und gar nicht.
So begann dort, wo einst die Kiefer über Jahrtausende das Landschaftsbild geprägt hatte, ein immer dichter werdender Laubwald die Ebene zwischen Rhein, Main und Odenwald zu überziehen.
Es sind noch zwei weitere Baumarten zu erwähnen, die das frühe Waldbild im Darmstädter Raum mitgeprägt haben: die Fichte und die Erle.
Die Wiedereingliederung der Fichte in die nacheiszeitliche Forstflora sehen die Forscher so: Dieser Nadelbaum braucht von seiner Natur her ein kontinentales Klima, vor allem im Hinblick auf
eine ausreichende, kalte Winterruhe. Solches hätte der Fichte das frühe Landklima nach dem Ende der Eiszeit geboten, aber dessen sommerliche Trockenheit schloß sie aus den Ebenen aus.
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So wurde sie ein Gebirgsbaum, der sich vor allem im Alpengebiet, im Harz und im Schwarzwald ausbreitete. Erst der Wandel zum Seeklima erlaubte auch diesem Nadelbaum eine Verbreitung in niedrigen
Regionen. Dort erschien nach der Feststellung der Fachleute die Fichte etwa gleichzeitig mit der Buche. Das starke Auftreten des Fichtenbaumes in reiner Monokultur ist das Werk einer späteren
Forstwirtschaft.
Eine noch wichtigere Mitgestalterin unseres frühen heimatlichen Landschaftsbildes stellt die Erle dar. Sie erreichte in unserem Raum zeitweise eine gewaltige Ausdehnung.
Durch eine ungewöhnliche Zunahme der Niederschläge entstand verbreitet nasses Gelände, ja häufig sogar Sumpf. So wurde ein Großteil unserer Heimat mit Feuchtwäldern, Bruchwälder genannt,
überzogen. Hier war das Reich des Erlenbaumes, der nasse Füße liebt.
In den westlichen Darmstädter Gemarkungsteilen, wo bei dem immer schwächer werdenden Gefälle es an dem rechten Abfluß des Stauwassers fehlte, erinnern noch viele Flurnamen und Geländebenennungen
von Wixhausen bis nach Eberstadt an die Erle und ihre wasserreichen Standorte.
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Erwähnt seien nur der „Faulbruch" oder das „Pfaffenloch" bei Wixhausen, das „Erlich" (Erlenloch), der „Erlenbusch" oder der „Elsee" (Erlensee) im Arheilger Niederfeld, die verschiedenen „Lachen"
(flache, meist wassergefüllte Senken) vor der Täubcheshöhle. Selbst in der trockenen Eberstädter Westgemarkung erinnern noch Geländenamen wie z. B. das „Wasserloch" an jene nassen Zeiten. Aber
auch in den östlichen Teilen der Darmstädter Gemarkung war die Erle zu Hause. Auch hier fand das Wasser stellenweise keinen Abfluß in den Rheingraben und versumpfte gleichfalls das Gelände.
Erinnert sei hier an den Traisaer „Großen und Kleinen Bruch", an die Bessunger „Bruchwiesen", an die Waldflur bei der Lichtwiese „Hinter den Erlen" oder an den „Erlenweg".
Erst eine stetige Grundwasserabsenkung durch die Anlage von Entwässerungssystemen hat den Bruchwald und damit die Erle weitgehend aus unserem Landschaftsbild verdrängt. - Heute versucht man,
wenigstens Reste dieses Waldes zu fördern und naturnah zu gestalten.
Nachdem die Jahrtausende währende Herrschaft der Kiefer zu Ende gegangen war und schattenvertragende Baumarten den Wald immer dichter werden ließen, finden wir zu Beginn der geschichtlichen Zeit
unsere Heimat schließlich von einem schwer durchdringbaren „Urwald" bedeckt. Die Wissenschaft schätzt die Waldfläche um die Zeitenwende auf mindestens 85 %. Nichts hat ja auf die Römer in
Germanien einen solch bestürzenden Eindruck gemacht wie die drohende, unwegsame Waldwildnis.
Aber auch diese Erscheinung eines unberührten Naturwaldes sollte nur von begrenzter Dauer sein. Die Ursache einer erneuten Landschaftsveränderung sollte nun aber der Mensch werden.
Die Bevölkerungszahl war unablässig gestiegen und erforderte einen größeren Lebensraum. Dazu mußte der unwegsame Walddschungel aufgebrochen werden. Ein Jahrtausend der Waldrodungen begann. Dabei
galt zeitweise die Bekämpfung des Waldes sogar als ein Verdienst. Vom vierten bis zum vierzehnten Jahrhundert rückte der Mensch dem scheinbar unerschöpflichen Holzreservoir unerbittlich zu Leibe.
Vor allem der Eiche wurde als Bauholzlieferant begehrlich nachgestellt. Aber auch weniger wertvolle Holzarten waren gefragt. So wurde den noch vorhandenen Kieferninseln so lange zugesetzt, bis
der Nadelbaum fast ausgerottet war. Man hatte aus dem Kiefernholz Harz gewonnen, Kienspäne geschnitten und es als schnellen, bequemen Brennstoff verheizt.
Gegen Ende des Mittelalters hatte der Raubbau an den Wäldern derartige Ausmaße angenommen, daß die Verantwortlichen die unüberlegten Rodungen weitgehend zum Stillstand brachten. Im Darmstädter
Forst erwiesen sich dabei die Grafen von Katzenelnbogen als weitsichtige Sachwalter der auch hier bedrohten Schatzkammer Wald. Bei aller Respektierung der Waldrechte der „Markgenossenschaft", in
der damals die Bevölkerung zusammengeschlossen war, wußten die Katzenelnbogener dem unkontrollierten Zugriff auf den Forst einen Riegel vorzuschieben.
Zum Verständnis der weiteren Geschichte des Darmstädter Waldes ist es notwendig, eine bisher aufgeschobene Frage zu beantworten: Wem gehörte früher dieser Wald?
Für die Zeit des Mittelalters ist die Antwort leicht: Der Wald gehörte allen! - Allerdings darf dieser Besitz nicht als Privateigentum verstanden werden, sondern als Nutzungsberechtigung an einem
allen gehörenden Gut, eben dem Wald. Dieses Recht teilten sich in der Regel Dorfgemeinschaften, die sich zu einer Mark zusammengeschlossen hatten. Caesar und Tacitus haben überliefert, daß die
Germanen, die beieinander wohnten, gemeinsamen Besitz genossen. So entspringt die Markgenossenschaft, der Zusammenschluß der Märker, alter germanischer Sippentradition. Wie dort die Sippe den
Vorrang vor der Familie besaß, so war auch die Mark als Gemeinschaft mehrerer Dörfer den Einzelorten übergeordnet. Diese Zusammengehörigkeit fand ihren stärksten Ausdruck in gemeinsamer
Waldnutzung.
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Dabei gab der Wald jedem Märker zu jeder Zeit das Nötige: Bau- und Brennholz, Grasweide für das Melk- und Zugvieh, Eichelmast für die Schweine und noch manches mehr. Und das alles ausreichend und
kostenlos! Jeder konnte sich holen, soviel er brauchte, und das aus dem gesamten Waldgebiet seiner Mark.
So konnte noch 1750 der Arheilger Förster Rautenbusch feststellen: „Wixhausen, Erzhausen und Gräfenhausen sind berechtigt, mit ihrem Vieh in den Arheilger Wald zu treiben." Das „Kuhfalltor" in
dem Mörsbacher Grund erinnert noch heute an das Weiderecht im Markwald.
Damit alles seine Ordnung hatte, gab es eine Markverfassung, mit einem „Obermärker" an der Spitze. Ursprünglich besaßen Obermärker keine Vorrechte vor den Markgenossen. Doch mit der Zeit wurde
die Rechtsgleichheit mehr und mehr durchlöchert.
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In ihrer Schutzbedürftigkeit suchten die Märker einen starken Arm gegen Bedrohungen von außen. Diesen liehen ihnen in der Zeit der sich entwickelnden Landeshoheit die regionalen Herren. Damit
begann aber ein Aushöhlungsprozeß der Markverfassung und in seiner Folge die Umwandlung des allen gehörenden Markwaldes in einen herrschaftlichen Forst.
Als Mittel dazu diente den Obermärkern die Nichteinberufung der althergebrachten „Märkerdinge". Auf den Zusammenkünften der Markgenossen, die „Märkerdinge" genannt, war nämlich allemal die alte
Ordnung feierlich in Erinnerung gebracht und erneut beschworen worden. Mehr und mehr unterblieb ihre Abhaltung, und die Märkerrechte gerieten in Vergessenheit.
Obendrein warfen die herrschaftlichen Beamten den Märkern Raubbau an ihrem gemeinsamen Gut vor. Ob dies begründet war oder nur ein Vorwand, die Rechte der Herren zu erweitern, bleibe
dahingestellt. Auf jeden Fall spielte die Behauptung eine entscheidende Rolle, die Markgenossenschaft sei nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen. So kam es, daß das Eigentum an dem
Markwald in den alleinigen Besitz des Landesherrn überging. Die Einwohner der Marken waren in ihrer Waldnutzung fortan von der herrschaftlichen Gnade abhängig. An Stelle der Marken wurden
„Zenten" geschaffen, Verwaltungsbezirke von mehreren Dörfern mit einem landgräflichen Beamten, dem „Zentgraf", an der Spitze.
Der Verlust des Markwaldes traf die ehemaligen Eigentümer des Darmstädter Forstes in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Am stärksten wurden die Dörfer Arheilgen und Wixhausen betroffen. Als
Angehörige der großen Markgenossenschaft Groß-Gerau verloren sie mit dreizehn weiteren Ortschaften ihre Waldnutzungsrechte total. Wie der Historiker Wilhelm Diehl erforschte, wurde im Jahre 1516
durch herrschaftliche Beamte ein Vertrag ausgehandelt, der dem Landgrafen von Hessen den gesamten Markwald in die Hände spielte. Zwar behielten der Arheilger und Wixhäuser Gemeindewald den Namen,
aber das war nur noch von geographischer Bedeutunng.
Allerdings wähnten sich die beiden nördlichen Vororte der landgräflichen Residenz, nicht zuletzt wegen der Beibehaltung der alten Waldnamen, noch lange im Besitz ihrer Ansprüche auf die Erträge
des Forstes. Dies geht eindrucksvoll aus einer Reihe von verzweifelten Bittbriefen an den Darmstädter Hof hervor.
Doch dort wurden solche Vorstellungen nicht mehr ernstgenommen. Die beiden Markdörfer waren in der so lebensnotwendigen Versorgung aus ihrem Wald in obrigkeitliche Abhängigkeit geraten.
Ganz anders als die kalte Waldenteignung der Arheilger und Wixhäuser Markgemeinden verlief die Besitzgeschichte des ehemaligen Darmstädter und Bessunger Waldes. Von der Frühgeschichte der kleinen
Mark Darmstadt/Bessungen wissen wir allerdings noch weniger als von den ersten Zeiten der Groß Gerauer Mark. Es ist aber anzunehmen, daß hier die gleichen Kräfte am Werk waren, die hergebrachten
Märkerrechte einzuschränken. Doch sollte das in der kleineren Markgenossenschaft bedeutend schwerer fallen.
Mit dem Rat der Stadt Darmstadt konnte man nicht so unbekümmert umspringen. Er war aus der Mitte der Bürgerschaft gewählt und wußte die Interessen der Mitbürger gegen alle Machenschaften der
landgräflichen Beamten wirkungsvoll zu verteidigen. Die überkommenen Märkerrechte wurden sorgsam in einem wohlgehüteten „Märkerbuch" festgehalten. Diese Rechte ließ man sich bei den
„Huldigungen", den jährlich abgehaltenen Treubekundungen für den Landgrafen, stets von diesem aufs neue bestätigen.
Es war deshalb für die nachfolgenden Generationen der Residenzbürger unbegreiflich und unverzeihlich, daß die Stadtväter am Thomastag 1565 dem Landesfürsten Philipp dem Großmütigen die Hälfte
ihrer Waldrechte offenbar ohne Not abtraten. Die Vorgänge um diesen „Sündenfall" sind nie ganz aufgeklärt worden.
Es blieb auf jeden Fall die Tatsache, daß die Darmstädter Bürgerschaft sich in allen Waldangelegenheiten die Hände gebunden hatte, indem sie sich in die Abhängigkeit eines Partners begeben hatte,
der im Laufe der Zeiten völlig andere Vorstellungen von der Nutzung des gemeinsamen Besitzes entwickelte.
Dieses Darmstädter „Halb und Halb" hatte heftigste, fast dreihundert Jahre dauernde Auseinandersetzungen im Gefolge. - Erst 1848 wurde die unglückliche „Waldehe" aufgelöst und jedem das Seine an
Wald zugeteilt.
Bessungen, als der kleinere Teilhaber der Darmstädter Markgenossenschaft, mußte - einmal mehr, einmal weniger - die unerfreulichen Folgen dieses unglückseligen Waldstreites ohnmächtig mittragen.
Daß es für den mittelalterlichen Markwald neben der Umwandlung in herrschaftlichen Forst oder in fragwürdigen Gemeinschaftswald noch eine dritte Lösung gab, zeigt die Geschichte des Eberstädter
Waldes.
Eberstadts historische Entwicklung verlief weit unabhängiger von der Residenz als die der anderen Vororte. Grund hierfür war die Tatsache, daß es jahrhundertelang anderen Hoheitsgebieten
zugehörte, ehe es in den hessen-darmstädtischen Herrschaftsbereich eingegliedert wurde. In der Zeit der Markgenossenschaften war das Dorf an der Modau lange Zeit ein Teil der Oberramstädter Mark,
ehe es an die Mark Pfungstadt kam. Politisch war Eberstadt im 13. Jahrhundert den Rittern von Weiterstadt unterstellt. Von ihnen ging es, vermutlich als Heiratsgut, an die Herrschaft Frankenstein
über. Bis in das 17. Jahrhundert konnten die Frankensteiner die Dorfherrschaft behalten. In dieser Zeit der Hoheitsstreitigkeiten, wobei es auch um die Waldherrschaft ging, wußte sich offenbar
Eberstadt geschickt einen beträchtlichen Teil seiner ehemaligen Besitzrechte aus der Märkerzeit zu erhalten. 88 % des Waldbestandes der Gemarkung blieben im Besitz der Gemeinde. Das waren
immerhin über 3600 Morgen Forst.
Das Aussterben der Grafen von Katzenelnbogen läutete den totalen Niedergang der Darmstädter Waldungen ein. Als der letzte Sproß dieses Hauses, Graf Philipp der Ältere, 1479 das Zeitliche segnete,
ging eine gute Haushalterschaft in der Vorratskammer Wald der „Obergrafschaft", wie man das südliche Herrschaftsgebiet der Katzenelnbogener nannte, zu Ende.
Für deren Erben, die Landgrafen von Hessen, die in Kassel residierten, wurde das angeheiratete Land bald zum Stiefkind, weil es abseits im Süden gelegen und schwer erreichbar war. Das hatte
Folgen, nicht zuletzt für den Darmstädter Forst.
In den nächsten 90 Jahren, weit in das 16. Jahrhundert hinein, waren die Wälder um die südliche Nebenresidenz dem schonungslosen Zugriff nicht nur der Bauern, sondern auch der kaum kontrollierten
landgräflichen Beamten und des zahlreichen niederen Adels ausgeliefert. Jeder holte sich aus dem Wald, wann und wonach es ihn gelüstete. So zehrte fast ein Jahrhundert mit Holzverschwendung, mit
unmäßiger Viehweide und mit übertriebenem Laubrechen am Holzvorrat und zugleich an der Verjüngungskraft des dahinsiechenden Waldes. Im Laufe solcher jahrzehntelangen Ausbeutung des Waldes und der
damit zusammenhängenden Vernachlässigung seiner Erneuerung machten sich immer größere Ödflächen breit, die mit Gestrüpp und Dornengesträuch überwuchert waren. Der Waldboden war immer schutzloser
der Sonne, dem Wind und dem Regen ausgesetzt und verhagerte zusehends. Die natürliche Kraft zur Regeneration ließ sichtlich nach.
Man suchte die fortschreitende Versteppung des Waldbodens einzudämmen, indem man gutgestellten Bürgern das ertraglose Ödland überließ, damit darauf wenigstens Wiesen angelegt wurden. Deshalb
stammen viele Wiesenstücke im Darmstädter Wald - abgesehen von den natürlichen Bachauen - aus jenen spätmittelalterlichen Jahren. Das Darmstädter Salbuch (Flurbuch) von 1553 zählt eine ganze
Reihe solcher „kahler Placken oder Erden" auf, die zur Anlage von Waldwiesen vergeben wurden. Wiesen in unserem Forst, die Personennamen tragen, sind in der Regel in jener Zeit entstanden. Als
Beispiele, die urkundlich belegt sind, seien u. a. nur genannt: die „Wannemacherwiese" im Darmstädter Oberwald (nach dem Ratsmitglied Wilhelm Wannemacher), im Bessunger Laubwald die
„Rudolfswiese" (die spätere Franzosenwiese) nach dem Bessunger Bürgermeister Philipp Rudolf genannt, desgleichen die dortige Schmittwiese und Ruthsenwiese, oder die verschiedenen „Kellerwiesen",
welche die „Keller", die landgräflichen Rentmeister, in ihren Besitz gebracht haben.
Kaum bekannt ist, daß die malerische Vielgestaltigkeit unseres Heimatforstes, die ihren besonderen Reiz durch die reiche Ausstattung mit Waldwiesen erhält, ein Relikt einst verwüsteter Wälder
darstellt. Dabei sind mittlerweile viele einstigen Wiesengründe aus wirtschaftlichen Erwägungen zugepflanzt worden. Doch was von ihnen geblieben ist, bedeutet nicht nur eine Augenweide für den
Waldfreund, es ist auch ein besonderer Lebensraum für Tiere und Pflanzen geworden.
Der Nothelfer In einem jämmerlichen Zustand also traf der erste Landgraf von Hessen-Darmstadt, Georg I., die Wälder seines neuen Ländchens an, als er 1567 in dessen Residenz einzog. Seinem auf Wirtschaftlichkeit gerichteten Blick entging nicht die lastende Hypothek, die er mit der desolaten Verfassung des Darmstädter Forstes übernahm: eine drückende Holznot, ödes Land, Waldparasiten und wandernde Flugsanddünen. Mehr als der Mangel an Brennholz schmerzte ihn die scharfe Verknappung an Bauholz. In dem lange vernachlässigten Darmstadt bestand nämlich ein erheblicher Nachholbedarf im Bauwesen. Schon Georgs Vater Landgraf Philipp der Großmütige hatte angesichts der verwilderten Krüppelbestände an Wald um die Mitte des 16. Jahrhunderts angeordnet, daß für den größten Teil des Bauholzes Tannenholz zu verwenden sei. Hierdurch sollten die dezimierten Eichenwaldungen geschont werden. Georg übernahm die väterliche Verordnung und fügte hinzu, daß, wer in seiner Residenz bauen wolle, die niederen Stockwerke nur aus Stein aufführen dürfe. Selbst mit dieser Einschränkung war der Holzbedarf für die unumgänglichen Baumaßnahmen nur zum geringen Teil aus den einheimischen Forsten zu decken. Der Landgraf war gezwungen, wie das schon seit geraumer Zeit geschah, für teures Geld im Ausland Holz zuzukaufen. So mußte er, laut einer Urkunde, allein im Jahre 1575 „für 2486 Gulden Dannenholz" aus Straßburg beziehen. Von dort war ihm zollfreie Einfuhr auf dem Rhein zugesichert. Bestätigt wird dieser Versorgungsweg durch die Bitte der Residenz, ihre Holzbezüge auf einem kleineren Floß an das landgräfliche anhängen zu dürfen. Der junge Landgraf wurde sich mit seinem praktischen Sinn bald bewußt, daß er sich eine solch kostspielige Lieferquelle auf die Dauer nicht leisten konnte. Als er deshalb in Erfahrung brachte, daß „Dannen" in bedeutend kürzerer Zeit heranwuchsen als die einheimischen Laubbäume, stand sein Entschluß fest. Der Nadelbaum mußte in seinem Wald angesiedelt werden. Die Windmühle. Sie stand im Nordwesten der Stadt. Dort war die treibende Kraft des Darmbaches nicht ausreichend. Die Mühle wurde in den 1830er Jahren abgebrochen, nachdem ein Sturm sie zerstört hatte. Das Bild stammt aus dem Jahre 1820. Entscheidend gestützt wurde das fürstliche Vorhaben durch die Nachricht, daß man diese Baumart einfach aussäen könnte. Im Frankfurter Stadtwald hatte man schon seit einiger Zeit aufsehenerregende Erfolge mit der Aussaat von Tannensamen erzielt. Von dort erfuhr er auch die Bezugsquelle für das nötige Saatgut. Die Stadt Nürnberg betrieb schon seit geraumer Zeit einen schwungvollen Samenhandel. Es ist schon vielfach beschrieben worden, mit welchem Eifer, aber bar jeder Erfahrung der junge Herr aus Darmstadt dieses Sanierungsprogramm für seinen Forst anfing. Wie sehr die neue Aufforstungsart Neuland für Georg war, kennzeichnet sein Mißgeschick bei der ersten Samenbestellung. Der Landgraf hatte seinen Forstmeister Valentin Hofmann ohne Säumen in die fränkische Metropole gesandt mit dem Auftrag, „Dannensamen" dort einzukaufen. Für ihn gab es bis dahin nur eine einzige Sorte Nadelholz, eben die „Dann". Er meinte die Kiefer. Die Nürnberger ihrerseits verstanden unter der Darmstädter Bestellung den Samen der Weißtanne und lieferten entsprechend. Die Kiefer kannte man dort als „Föhre" oder „Forle". Das mit großen Erwartungen ausgebrachte Saatgut ging auf dem mageren einheimischen Boden nicht auf. Georg war durch den Fehlschlag enttäuscht, aber er gab nicht auf. Das Mißverständnis klärte sich bald auf, und der richtige Samen wurde geliefert. Sicherheitshalber ließ der vorsichtig gewordene Landgraf gleich erfahrenes Personal mitkommen. Aus Aufzeichnungenn von Georgs I. Hofchronisten Wilhelm Buch geht hervor, daß der Landgraf die „Dann", also die Kiefer, nur als ein Provisorium betrachtete. Der Nadelbaum sollte bei der so dringenden Behebung der Darmstädter Holznot nur als Nothelfer eingesetzt werden. Nach ein oder zwei Kieferngenerationen sollte durchaus wieder die wertvollere Eiche und auch die Buche angebaut werden.
In einem jämmerlichen Zustand also traf der erste Landgraf von Hessen-Darmstadt, Georg I., die Wälder seines neuen Ländchens an, als er 1567 in dessen Residenz einzog. Seinem auf
Wirtschaftlichkeit gerichteten Blick entging nicht die lastende Hypothek, die er mit der desolaten Verfassung des Darmstädter Forstes übernahm: eine drückende Holznot, ödes Land, Waldparasiten
und wandernde Flugsanddünen. Mehr als der Mangel an Brennholz schmerzte ihn die scharfe Verknappung an Bauholz. In dem lange vernachlässigten Darmstadt bestand nämlich ein erheblicher
Nachholbedarf im Bauwesen. Schon Georgs Vater Landgraf Philipp der Großmütige hatte angesichts der verwilderten Krüppelbestände an Wald um die Mitte des 16. Jahrhunderts angeordnet, daß für den
größten Teil des Bauholzes Tannenholz zu verwenden sei. Hierdurch sollten die dezimierten Eichenwaldungen geschont werden.
Georg übernahm die väterliche Verordnung und fügte hinzu, daß, wer in seiner Residenz bauen wolle, die niederen Stockwerke nur aus Stein aufführen dürfe. Selbst mit dieser Einschränkung war der
Holzbedarf für die unumgänglichen Baumaßnahmen nur zum geringen Teil aus den einheimischen Forsten zu decken.
Der Landgraf war gezwungen, wie das schon seit geraumer Zeit geschah, für teures Geld im Ausland Holz zuzukaufen. So mußte er, laut einer Urkunde, allein im Jahre 1575 „für 2486 Gulden
Dannenholz" aus Straßburg beziehen. Von dort war ihm zollfreie Einfuhr auf dem Rhein zugesichert. Bestätigt wird dieser Versorgungsweg durch die Bitte der Residenz, ihre Holzbezüge auf einem
kleineren Floß an das landgräfliche anhängen zu dürfen.
Der junge Landgraf wurde sich mit seinem praktischen Sinn bald bewußt, daß er sich eine solch kostspielige Lieferquelle auf die Dauer nicht leisten konnte. Als er deshalb in Erfahrung brachte,
daß „Dannen" in bedeutend kürzerer Zeit heranwuchsen als die einheimischen Laubbäume, stand sein Entschluß fest. Der Nadelbaum mußte in seinem Wald angesiedelt werden.
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Entscheidend gestützt wurde das fürstliche Vorhaben durch die Nachricht, daß man diese Baumart einfach aussäen könnte. Im Frankfurter Stadtwald hatte man schon seit einiger Zeit aufsehenerregende
Erfolge mit der Aussaat von Tannensamen erzielt. Von dort erfuhr er auch die Bezugsquelle für das nötige Saatgut. Die Stadt Nürnberg betrieb schon seit geraumer Zeit einen schwungvollen
Samenhandel. Es ist schon vielfach beschrieben worden, mit welchem Eifer, aber bar jeder Erfahrung der junge Herr aus Darmstadt dieses Sanierungsprogramm für seinen Forst anfing. Wie sehr die
neue Aufforstungsart Neuland für Georg war, kennzeichnet sein Mißgeschick bei der ersten Samenbestellung.
Der Landgraf hatte seinen Forstmeister Valentin Hofmann ohne Säumen in die fränkische Metropole gesandt mit dem Auftrag, „Dannensamen" dort einzukaufen. Für ihn gab es bis dahin nur eine einzige
Sorte Nadelholz, eben die „Dann". Er meinte die Kiefer. Die Nürnberger ihrerseits verstanden unter der Darmstädter Bestellung den Samen der Weißtanne und lieferten entsprechend. Die Kiefer kannte
man dort als „Föhre" oder „Forle".
Das mit großen Erwartungen ausgebrachte Saatgut ging auf dem mageren einheimischen Boden nicht auf. Georg war durch den Fehlschlag enttäuscht, aber er gab nicht auf. Das Mißverständnis klärte
sich bald auf, und der richtige Samen wurde geliefert. Sicherheitshalber ließ der vorsichtig gewordene Landgraf gleich erfahrenes Personal mitkommen. Aus Aufzeichnungenn von Georgs I.
Hofchronisten Wilhelm Buch geht hervor, daß der Landgraf die „Dann", also die Kiefer, nur als ein Provisorium betrachtete. Der Nadelbaum sollte bei der so dringenden Behebung der Darmstädter
Holznot nur als Nothelfer eingesetzt werden. Nach ein oder zwei Kieferngenerationen sollte durchaus wieder die wertvollere Eiche und auch die Buche angebaut werden.
So begann 1575 im Darmstädter Wald eine historische Aufforstungskampagne großen Ausmaßes mit einem abermaligen spektakulären Baumartenwechsel. Die Einzelheiten dieses folgenreichen Eingriffes in
die Struktur des Forstes um die Residenz sind nahezu unbekannt. Die wenigen Informationen hierüber liegen in, Archiven verstreut in den unterschiedlichsten Fundorten.
Soweit ersichtlich, wurden die ersten Anbauversuche zu einem Nadelwald im Westen der Darmstädter Gemarkung unternommen. Hier war offenbar die Waldverwüstung am augenscheinlichsten. Die fehlende
Walddecke auf den Flugsanddünen brachte die Dünen in Bewegung, fruchtbare Äcker wehten zu. Überhaupt waren es die nahen Randforste um die Stadt, in denen die Aufforstung eingeleitet wurde. Es lag
auf der Hand, daß die Waldränder, die vor der Haustüre lagen, am stärksten ausgeplündert waren.
Zugleich war aber auch das angrenzende Feld durch die Vernachlässigung jeglicher Forstpflege derart verwahrlost, daß seine Bestellung sogar teilweise aufgegeben worden war. Das läßt eine Notiz
aus dem Bericht über die erste Aussaat vermuten: „Ist vil Feldes dazugezogen und niemandt weiß, wem solches seye." Nach dem erwähnten Bericht tauschte der Landgraf „im Niederfeldt
(Darmstadt-West) am Griesheimer Weg 165 Morgen Ackerland und Wiesen, so zur Holtzpflanzung gebraucht werden." Er gab ebensoviele Morgen Land aus eigenem Besitz dagegen. Es war immerhin ein
Drittel seines Hofgutes.
Zur Anlage des vorgesehenen Kiefernwaldes mußte das „Keimbett" hergerichtet und der Samen ausgebracht werden. Dies geschah nach erprobtem Nürnberger Rezept: „Erstmals muß man den Boden umzakkern,
danach muß er geeckt (geeggt) werden, zwey oder drey Tage danach soll man den Sahmen sehen (säen) und soll man den Sahmen mit der Hand nehmen, so groß als man pflegt, Korn zu sehen." Galt es, ein
Waldstück neu anzulegen, dann mußten zuvor die „Stöcke", die stehengebliebenen Baumstümpfe, „gerodet" werden, wodurch Teile des neuangelegten Forstes den Namen „Röderwald" erhielten. Die
Urkunde schließt: „Die Äcker seind mit Dannensamen und auch mit Eicheln und Haseln besehet, seind mit einem Graben umgeben. Ungefährlich 200 Morgen." Woraus hervorgeht, daß von Anbeginn der
Walderneuerung auch andere Holzarten als nur die Kiefer zur Aussaat kamen.
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Auch von den Ländereien des Hofgutes Gehaborn, das der Landgraf 1578 käuflich von den Mönchen der Zisterzienserabtei Eberbach im Rheingau erworben hatte, wurden erhebliche Stücke mit Kiefernsamen
eingesät. Wilhelm Buch, der Chronist Georgs I., hat nicht ohne Grund „den jungen Dannenwaldt im Nydderfeldt" als eine große Tat gepriesen.
Mittlerweile hatte der Fürst noch andere Geschäftsbeziehungen zwecks Bezuges von Nadelholzsamen aufgenommen, so z.B. mit dem Markgrafen von Baden. Von dort wurde er dann auch reichlicher und mit
besserer Qualität als aus dem Fränkischen bedient. Notwendig war die Ausdehnung der Handelsverbindung geworden, weil die Aufforstung auf weitere Teile des Darmstädter Waldes ausgedehnt worden
war. Als Beispiel dafür diene die Geschichte des „Röderwaldes", eines Teiles des Arheilger Oberwaldes, im Nordosten des Darmstädter Waldkranzes. Nicht nur der Name „Röderwald" ist mittlerweile
der Vergessenheit anheimgefallen, auch von dortigen umfangreichen landgräflichen Aufforstungen wäre nicht die geringste Kenntnis auf uns gekommen, hätte nicht 200 Jahre später ein Prozeß der
kleinen Bauerngemeinde Arheilgen gegen den mächtigen Forstfiskus die Dinge ans Tageslicht gebracht.
Dabei lieferte der in die Ortsgeschichte eingegangene „Kampf um den Röderwald" wertvolle Aufschlüsse über die hessen-darmstädtische Walderneuerung am Ausgang des 16. Jahrhunderts. Auch in diesem
Falle hatte Georg 1. für die Aufforstung das nahe Feld zu den ramponierten Waldrändern hinzugezogen. Offenbar hatte er aber dabei kein Tauschland für die enteigneten Besitzer zur Hand. Das
tauschbare Eigengelände war nachweislich bei der Anlage des Großen Wooges und anderer landgräflicher Projekte für die Abfindung der bürgerlichen Vorbesitzer aufgebraucht worden. Der Landgraf half
sich damit, daß er die Arheilger Feldeigentümer zu Besitzern von „Waldäckern" machte mit der Aussicht auf ein zukünftiges Holzvermögen. Dafür wurden sie mit einer jährlichen Grundschuld, dem
„Röderzins", belastet. In dem Dreißigjährigen Krieg kamen die allermeisten der Arheilger Waldinhaber um. Der „Röderzins", die steuerliche Belastung der Waldäcker, aber blieb auf diesen haften. Im
18. Jahrhundert zogen die „Jagdlandgrafen" den inzwischen zu einem prachtvollen Bestand herangewachsenen Röderwald kurzerhand zu ihrem Privatgut. Der „Röderzins", die steuerliche Belastung, aber
blieb für die nominellen Eigentümer bestehen. Die Jagdlandgrafen steckten stets in Geldnöten und dachten nicht daran, auf diese nicht mehr gerechtfertigte Einnahmequelle zu verzichten. Als 1768
mit dem Tode Ludwigs VIII. die feudale Jagdära ein plötzliches Ende nahm, zogen die Arheilger vor Gericht und klagten ihr weggenommenes Eigentum ein. In einem jahrelangen Rechtsstreit obsiegten
sie schließlich. Ihr Trumpf, daß Grundsteuern Eigentum voraussetzen, hatte letzten Endes gestochen.
Das Streitobjekt, der „Röderwald", war das Forstgelände bei der Dianaburg, hinter dem Forsthaus „Kalkofen".
Eine der imposantesten Straßen im Darmstädter Stadtbild ist unbestritten die repräsentative Zugangsallee von Westen, die Rheinstraße. Es müssen einmal weit vorausschauende Köpfe gewesen sein, die eine Allee von solch beeindruckender Breite geschaffen haben. Vollzogen hat sich dies alles vor fast 300 Jahren. Es war wohl eine der größten Enttäuschungen, die den jungen Landgrafen bei seiner Heimkehr von dem glanzvollen Versailler Hof in seiner Residenz erwartete, als er der trostlosen Wegeverhältnisse in der Umgebung der Stadt ansichtig wurde.
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Gleich vor den Stadttoren verwandelten sich die Straßen in armselige Feldwege, auf denen sich Pferde und Wagen je nach der Witterung entweder durch tiefen Mahlsand oder durch aufspritzende
Schlammpfützen quälen mußten.
Welch eine Beschämung für den fürstlichen Gastgeber stellte eine solche Ausfahrt mit erwartungsvollen illustren Gästen zur jagdlichen Lustbarkeit dar!
Es muß deshalb für Ernst Ludwig einer der ersten Entschlüsse als neuer Regent gewesen sein, großzügige Ausfallstraßen zu den vorgesehenen neuen Jagdeinrichtungen zu projektieren. Als Vorbild
dienten ihm dabei die Alleen, baumgesäumte Weganlagen, wie er sie in Frankreich kennengelernt hatte. Schon Anfang der 1690er Jahre gab der Landgraf seinem Oberjägermeister Utterod den Auftrag,
Geländesondierungen für die Anlage einer breiten Allee nach dem Westen anzustellen. Es sollte eine Prachtstraße werden zu dem „Bassin" und der „Fortunaburg", dem ersten „Equivogue" in der Tanne.
Eine besondere Variante der Schneisenführung im Darmstädter Forst stellten die „Schneisensterne" dar. Im Unterschied zu den streng parallel verlaufenden üblichen Schneisen, schickten die Sterne
ihre Schneisenstrahlen windrosenartig von einem Jagdschloß aus in den Wald. Diese Spielart des Schneisenbaues versprach eine reizvolle Steigerung des Jagdvergnügens.
Dazu waren die Anfangsstücke der Sternwege mit kräftigem Graswuchs versehen, wodurch das Wild in großen Scharen angelockt wurde. Also boten sich der Jagdgesellschaft auch außerhalb des
eigentlichen Jagens angenehme Anblicke. Von den Schloßfenstern aus hatte man reizvolle Aussicht auf die sich in der Nähe tummelnden Tiere. Ja, es wird sogar von Schießwettbewerben berichtet, die
man von den Schloßfenstern aus auf das äsende Wild veranstaltete. Daneben boten die Schneisensterne natürlich die ideale Möglichkeit, auf direkten Wegen in kurzer Zeit jeden Winkel des Forstes
erreichen zu können.
Die Schneisensterne wurden später als das quadratische Schneisennetz angelegt. Deshalb schneiden sich die beiden Schneisenarten schräg an und verengen noch heute das an sich schon dichte
Wegenetz. Das erschwert nicht nur so manchem Waldgänger die Orientierung, die Dichte der Wege führte auch zu einer empfindlichen Störung des Wildes in manchen Revieren.
Zwei Schneisensterne schuf der Jagdlandgraf Ernst Ludwig im Darmstädter Forst, einen im Oberwald, den Kranichsteiner Schneisenstern und einen in der Tanne.
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Weit vollkommener als der Schneisenstern von Kranichstein war die zwischen 1714 und 1716 angelegte Schneisenwindrose in der Tanne ausgebildet. In ihrem Mittelpunkt hatte Landgraf Ernst Ludwig ein
Jagdschlößchen errichtet, das „Griesheimer Haus" genannt. Längst ist das Jagdhaus verschwunden. Auf den noch erhaltenen Bildern fällt es durch seine achteckige Form mit dem überdimensionalen Dach
auf. Auf einem breiten Hügel erhoben sich zwei Stockwerke mit dem auffälligen Mansardendach, auf dem sich eine vergoldete Wetterfahne drehte. Die Hauswände bestanden aus Eichenbalken. Die Gefache
waren mit Backsteinen ausgemauert. Der Umgebung angepaßt, war das ganze Haus mit grüner Farbe angestrichen.
Das Griesheimer Haus muß nicht sehr solide gebaut gewesen sein, denn es stürzte schon 1736 ein. Landgraf Ludwig VIII., Ernst Ludwigs Sohn, baute es zwar gleich zu Beginn seiner Regierung 1739
wieder auf, wobei es in „Louisburg" umbenannt wurde, aber bereits um 1770 wurde auch dieser Bau abgerissen. Der neue Landgraf, Ludwig IX., hatte kein Verständnis und deshalb auch keine Verwendung
für dieses Relikt aus höfischer Jagdzeit.
An die Stelle des einstigen Jagdhauses ließ der Großherzog Ludwig III. im vorigen Jahrhundert einen Pavillon errichten, in dem ein Bild noch an das verschwundene Schlößchen erinnerte. Heute ist
von der reizvollen Jagdanlage nur ein kleiner, geebneter Platz mit einigen Bänken als letztes Andenken übriggeblieben. Unten braust der Verkehr auf der Bergstraßenautobahn vorbei.
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Von dem achteckigen Jagdhaus hatten acht Treppen den Hügel hinunter zu acht Schneisen geführt, die strahlenförmig in gleichem Winkelabstand in den Forst zogen. Richtunggebend für den Stern wurde
die „Lange Schneise" des schon bestehenden parallelen Schneisennetzes. Sie wurde mit ihren beiden Strahlen nach den Ortschaften, auf welche diese zielten, in „Pfungstädter Schneise" und
„Wixhäuser Schneise" (später als „Hausschneise") umbenannt.
Senkrecht zu dieser Grundachse wurde das Strahlenpaar der nach Osten ziehenden „Forstschneise" und der nach Westen verlaufenden „Griesheimer Schneise" angelegt. Die letztere ist bei der Anlage
des „Griesheimer", des ehemaligen Artillerieschießplatzes, 1896 verschwunden. Die so entstandenen rechten Schneisenwinkel wurden nochmals halbiert durch die „Burgschneise" nach Südosten (Richtung
Burg Frankenstein!). Sie heißt heute „Eberstädter Hausschneise". Nach Nordwesten zog als Schwesterschneise die „Weiterstädter Schneise" (heute die „Braunshardter Hausschneise").
Das letzte Strahlenpaar des Griesheimer-Haus-Sternes bildeten nach Südwesten die „Eichschneise" (die heutige „Eichwäldchenschneise") und schließlich nach Nordosten der wichtigste der acht
Strahlen: die „Stadtschneise". Letztere verband das Jagdhaus in der Tanne auf kürzestem Wege mit dem Residenzschloß. Sie mündete in, die durch den seltsamen Wuchs ihrer Bäume einst weitbekannte
„Scheppe Allee". Es ist heute nicht mehr festzustellen, wann und aus welchem Grund die Umbenennung einzelner Strahlen des Griesheimer-Haus-Sternes erfolgte.
Es ist eine immer wieder in Erstaunen versetzende Erfahrung, daß wichtige Ereignisse oder bedeutende Einrichtungen früherer Zeiten völlig in Vergessenheit geraten können. Dies trifft auch für ein
Gewerbe zu, das einmal Tausenden von Menschen in unserer Heimat Arbeit und Brot gegeben hat.
Wer weiß heute, daß die „Darmstädter Kiefer" einst ein weltbekannter Artikel des Samenhandels war? Wer kann noch etwas mit dem Wort „Klengen" anfangen? Die Sache begann eigentlich schon bei
Landgraf Georg 1. - Mit großen Kosten hatte dieser, verzweifelt über den heruntergekommenen Zustand seiner Waldungen, die ersten Säcke mit Nadelholzsamen in Nürnberg erstanden. Damit hatte am
Ende des 16. Jahrhunderts eine umfassende Aufforstung des Darmstädter Waldes begonnen. Zweihundert Jahre später wurde eine Rekultivierung des abermals zugrundegerichteten Forstes um die Residenz
erneut notwendig. In früheren Zeiten konnte man - besonders in Griesheim - zur Winterszeit in den Stuben der armen Leute eigentümliche Geräusche vernehmen. Es soll ein merkwürdiges Klingen zu
hören gewesen sein, wenn man das Ohr an die Stubentür hielt. Daher rührt das Wort „Klengen". In den Stuben waren an den Wänden Gerüste aufgeschlagen, auf denen sich Kiefern- oder Fichtenzapfen
häuften. Sie wurden hier „gedörrt".
Wenn sie warm wurden, spreizten sie sich weit auf, und heraus sprangen mit einem eigenartigen Klingen die Samen. Georg I. hatte von den Nürnbergern schon das Rezept für das richtige „Klengen"
erhalten: „Nit, wie an etlichen Orten der Gebrauch in dem Backofen, sondern allein in den Stuben uf Brettern oder uf gemachten Gerüsten sol gedürret werden." In der Küche, auf kleinem Feuer, ging
zwar das Dörren schneller, aber die Samenqualität litt erheblich bei dieser Roßkur.
Die Griesheimer gingen schon früh dem Samengewerbe nach. Was gab es nicht alles zu sammeln und gewinnbringend zu verkaufen! Man handelte mit den Samen von Gräsern, Kräutern und anderem und
schließlich auch von Kiefern- und Fichtenzapfen.
Die große Zeit des „Klengens" brach am Ende des 18. Jahrhunderts an und dauerte bis weit in das vorige Jahrhundert. Die Aufforstungen nahmen immer größeren Umfang in immer mehr Ländern an und
garantierten einen stabilen Samenmarkt. „Darmstädter Kiefer" wurde damals bis nach Übersee zum Qualitätsbegriff. Das Gewerbe der Samengewinnung von Nadelbäumen beinhaltete noch eine zweite
Tätigkeit: das Zapfenpflücken. Die abgeworfenen „Dannebbel" waren für die Gewinnung von Samen unbrauchbar. Entweder war dieser schon ausgefallen, oder er war verfault. Die Zapfen mußten frisch
vom Baum gebrochen werden.
Das Zapfenbrechen war eine halsbrecherische Arbeit. Wie Eichhörnchen erkletterten die abgehärteten Burschen auch die höchsten Bäume. An den derben Stiefeln hatten sie primitive Steigeisen
befestigt. Mit diesen stiegen sie wieselflink bis in die schwankenden Wipfel. Dort hingen die schönsten Zapfen. In einem über die Schulter geknüpften Sack, wie man ihn auch beim Obstbrechen trug,
wurden sie verstaut. Für die Zapfen, die sie nicht mit den Händen erreichen konnten, führten sie eine lange Stange mit einem Haken mit sich. Damit angelten sie mit größter Geschicklichkeit die
entferntesten Büschel herbei. Die Kühnheit der Zapfenpflücker ging so weit, daß sie, auf einem hohen Baum sitzend, diesen zum Schwanken brachten, bis sich seine Äste mit dem Nachbarbaum
berührten. In diesem Augenblick setzten sie mit einem schnellen Sprung auf diesen über. Das Zapfensammeln war ein gefährliches Handwerk. Mancher Wagehalsige soll sich zu Tode gestürzt
haben.
Das „Klengen" selbst geschah zunächst in reiner Hausarbeit. Es verursachte kaum Betriebsunkosten. An Heizmaterial gab es keinen Mangel. Die gedörrten Zapfen waren ein ebenso vorzüglicher wie
billiger Brennstoff. Die vielen kleinen Heimarbeitsstellen taten sich allerdings schwer mit dem Verkauf des geernteten Saatgutes. Eine Organisation des Handels wurde früh notwendig. Das lohnende
Geschäft rief in Griesheim unternehmende Männer auf den Plan.
Der erste, bereits 1740 erwähnte, Samenlieferant war Adam Fischer aus Griesheim. Auch andere Mitglieder der Fischersippe stiegen in den nächsten Jahren in den Samenhandel ein. Ihnen folgten rasch
noch andere Griesheimer Geschäftsleute. Vor allem die Firma Kissinger wurde weit bekannt. Kissinger pachtete ganze Wälder und ließ dort die Zapfen auf seine Rechnung pflücken.
In großem Stil entwickelte Ludwig Christoph Nungesser den einträglichen Samenhandel. 1775 gründete er einen ausgesprochenen Industriebetrieb, der in alle Welt exportierte. - Conrad Appel,
ebenfalls ein geborener Griesheimer, hatte auch eine bedeutende Samenhandlung eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb die Firma ein großes Gelände am „Griesheimer Eichwäldchen" und legte
dort eine große Baumschule an.
Das ganz große Samengeschäft vollzog sich aber an einem anderen Ort. Bei den glänzenden Aussichten des Klenggewerbes war es nur eine Frage der Zeit, daß es über Griesheims Grenzen expandierte.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts brachte ein Griesheimer namens Keller das Gewerbe nach Bessungen. Heinrich Keller heiratete in die Heidelberger Straße und verlegte das gut gehende Geschäft
dorthin.
Mit technischer Begabung ausgestattet, erfand der junge Unternehmer eine Reihe von Maschinen zur Verbesserung des „Klengens". So schuf er unter anderem die größte Dampfdarre in Deutschland.
Kellers Geschäftsumfang erweiterte sich mit der Zeit derart, daß er in der Winterszeit oft bis zu tausend Menschen beschäftigte. Der Darmstädter Kiefernsamen war wegen seiner guten Qualität immer
begehrter geworden und hatte Weltruhm errungen.
Wenn man bedenkt, daß sich das „Klengen" schließlich auf weitere Gemeinden, vor allem Pfungstadt und Eberstadt, ausgedehnt hatte, kann man ermessen, welche wirtschaftliche Bedeutung einmal die
„Dannnebbel" in den Darmstädter Landen besaßen.
Aber die Blütezeit der „Darmstädter Kiefer" währte nur verhältnismäßig kurze Zeit.
Die Reise durch Darmstadts Waldvergangenheit soll hier ein vorläufiges Ende finden. Mit dem Eintritt in die letzten hundert Jahre Entwicklungsgeschichte unseres heimatlichen Forstes verbreitert
sich der Strom von Informationen so sehr, daß er nicht mehr auf die Blätter eines schmalen Buches zu bannen ist.
Der Gang durch die Darmstädter Forstgeschichte hat uns bewußt werden lassen, daß das Zeitmaß des Waldes ein anderes ist als das des kurzen Menschenlebens. Sein Schicksalsweg zeigte Wellenlängen
eines Auf und Nieder von ganz anderen Dimensionen. Wo stehen wir heute?
Hoffnungsvoll können wir zunächst feststellen, daß sich der Wald heute mancher hemmenden Fessel der Vergangenheit entledigt hat. So ist er von der Last befreit, als stets unzureichende
Vorratskammer für einen unersättlichen Holzbedarf herhalten zu müssen. Endlich kann er dem Menschen auch in einem höheren, edleren Sinn dienen. Heute ist der Forst zu allererst für eine gute
Wasserqualität, für die Reinhaltung der Luft oder für unsere Erholung wichtig. Wir haben aber auch in unserer geschichtlichen Rückblende den Wald als einen sehr verletzlichen, lebenden Organismus
kennengelernt, den man weder gedankenlos ausnutzen kann noch sich selbst überlassen darf. Er bedarf heute, wo er völlig neuen, höchst gefahrvollen Bedrohungen ausgesetzt ist, einer besonders
sorgfältigen, wohldurchdachten Pflege.
Dazu genügen nicht das Erkennen und Vermeiden von früher gemachten Fehlern, so unabdingbar solches ist; es müssen neue Einsichten und Erkenntnisse dazukommen, um die heutigen Waldprobleme zu
meistern. Forstwissenscahft und Forsttechnik sind auf das Äußerste herausgefordert.
Deshalb soll zum Abschluß unseres Streifzuges durch die Darmstädter Waldvergangenheit der Fachmann zu Worte kommen. Wer könnte dazu geeigneter sein als der für unsere heimatlichen Waldungen heute
verantwortliche Forstmann? Dankenswerterweise hat sich der Leiter des Forstamtes Darmstadt, Forstdirektor Dr. Arnulf Rosenstock, bereiterklärt, in einem Ausblick darzulegen, wie im Darmstädter
Wald die Erkenntnisse der heutigen Forstwirtschaft in die Tat umgesetzt werden sollen.
Ausblick
Mit der Auflösung des Forstamtes Kranichstein 1977 hat das Darmstädter Amt wieder die Größe erreicht, wie es 1823 unter Friedrich Peter Eberhard Kekule als „Darmstädter Forstinspektion"
ursprünglich einmal eingerichtet worden war.
Größe und Grenzziehung stellen sicher, daß dieser Raum mit cirka 6000 Hektar öffentlichem Wald einheitlich genutzt, entwickelt und betreut werden kann.
Durch die laufende Betriebskontrolle, die mittelfristige Planung (Forsteinrichtung) und die vor cirka 20 Jahren in Hessen eingeführte Standorterkundung ist gewährleistet, daß alle Entscheidungen
im Forstbetrieb nach den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit (keine Übernutzung des Zuwachses), der Ökologie des natürlichen Standortes und der Planmäßigkeit ablaufen.
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Nicht ausreichend sichergestellt sind die besonderen sich aus der überlieferten und im Schrifttum wieder entdeckten Vergangenheit ergebenden Bedürfnisse unseres geschichtsträchtigen Waldgebietes.
Ebenso verlangen neue Erkenntnisse der Landschaftsökologie ständiges Umdenken, erhöhte Rücksichtnahme und verändern die Bewirtschaftungsgrundsätze des Waldes laufend.
Es ist jedoch Vorsicht geboten, jeder zufällig entdeckten bedrohten oder seltenen Tier- und Pflanzenart zuliebe die gesamte bisherige Wirtschaftsweise zu Füßen zu legen oder jede von anderen
Fachleuten geforderte Maßnahme im Walde ungeprüft zu realisieren. Dies gilt auch für einige der Anforderungen, die der Denkmalschutz an den Wald richten könnte.
Forstökologisch definiert man den Wald als besondere Lebensgemeinschaft mit hoher Biomasse, geringem Nährstoffverlust, hochwüchsigen Vegetationsbestandteilen. Die Entwicklungszeiträume sind
besonders lang.
Die Langlebigkeit der Waldbäume mit einem natürlichen Alter von 100 bis 1000 Jahren (Birke zu Eiche) und einer forstlichen Nutzungsperiode (Umtriebszeit) von in der Regel über 100 Jahren führt
dazu, daß der Wald in seiner Gesamtausprägung meist älter ist als die ihn umgebende Nutzung der Siedlungen, Straßen oder in den Fluren. Ausnahme sind die Kulturdenkmale mit über 200jähriger
Geschichte, wenn sich das Waldbild in der Zwischenzeit verändert hat (Umwandlung von/in Nadelholz, Rodung, Waldneuanlage).
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Allerdings kennen wir neben den Urwäldern auch produktive Waldbauformen, die auf Dauer und Stetigkeit gerichtet sind; z.B. der Plenterwald, Naturgemäßer Wald, einzelstammweise Nutzung in
Sonderstandorten, Blockschuttwälder, Erlen-Eschenbrüche, Trockenstandorte und so weiter. Diese „silvae perpetuae" zeichnen sich dadurch aus, daß sie durch die Stetigkeit der Nutzung immer nahezu
gleichalt gehalten werden können. Ständige kleinflächige Holznutzungen sind jedoch Bedingung.
Waldbauliche Maßnahmen, wie die Begründung einer Kultur, führen erst nach ca. 140 Jahren zur Ernte, d. h. mindestens 7 Förstergenerationen à 20 Berufsjahren haben da gestaltet und gepflegt. Heute
hiebreife Bestände entstammen der Zeit von 1848; die Generation davor aus dem Jahre 1700. Dies ist die Zeit des Entstehens der Lehre von den Forstwissenschaften (2 Baumgenerationen alt). In
diesen 2 Baumgenerationen haben ca. 9 Menschengenerationen Geschichte gemacht. Dies bedeutet, daß jährlich nur ca. 1/140 der Fläche der forstbetrieblichen Entscheidung unterliegt. Eine
Förstergeneration kann damit höchstens 15 Prozent der Gesamtfläche im Berufsleben beeinflussen.
Getroffene Entscheidungen haben aber auch Langzeitwirkung von über vier Menschheitsgenerationen. Das ist beruhigend wegen des geringen Kurzzeitveränderungspotentials, aber verheerend bei
getroffenen Fehlentscheidungen, die in der Regel nicht mehr korrigiert werden können. Wald ist also, wie er sich im unmittelbaren Aspekt präsentiert, immer Geschichte.
Die Forstleute haben sich angewöhnt, in langen Zeiträumen zu denken, bewahren gerne Tradition und pflegen den von den Vätern hinterlassenen Wald ebenso wie das berufliche Erbe.
So sehr die Tradition diesem Berufsstand nahesteht, so wenig ist er dagegen gewappnet, die Errungenschaften der forstlichen Wissenschaft ohne weiteres anderen Zielen unterzuordnen. Ähnlich wie in
der Volkswirtschaftslehre bestimmen Theorien und Lehrmeinungen das Tagesgeschäft, so daß forstökologische Erkenntnisse mitunter in den Hintergrund gedrängt wurden. So z.B. geschehen durch die
Reinertragslehre, die finanzielle Erträgnisse ökologischen Bedürfnissen überordnete. Auch die Jagdleidenschaft sorgt immer wieder für Konflikte. So waren es nicht nur Landgrafen und
Hofjägermeister, die im Walde für ein Ungleichgewicht zwischen Lebensraumbedürfnissen von Pflanzen und Tieren sorgten. Auch in jüngerer Zeit sind durch Überhege des Wildes dem Wald durch Schäl-,
Verbiß-, Schlag- und Fegeschäden Belastungen zugeführt worden, die zur Veränderung der Vegetation oder zur Vernichtung von Baumhölzern geführt haben und die Natur mit Kulturgattern, Wildäckern
und Jagdeinrichtungen belasten.
Auch diese Einflüsse werden sich in der Waldgeschichte über lange Zeiträume nachweisen lassen.
Von besonderer Bedeutung für das Landschaftsbild, den Naturschutz und die Gestalt des Wohnumfeldes ist der Waldrand. Wie alte Karten, Waldbilder und auch die Flächennutzungen bezeugen, ist der Waldrand immer Veränderungen unterworfen gewesen. Dies gilt für Waldinnenränder, die unsere Waldwiesen umgeben ebenso wie für Waldaußenränder.
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Während sich im Waldinnenraum der Wald die Wiese durch Sukzession erobert, wird der Waldaußenrand zumeist durch den wirtschaftenden, siedelnden, lokomotorischen Menschen verändert. Seit
Inkrafttreten des Hessischen Forstgesetzes vom 10. November 1954 sind Wälder gegen jede Inanspruchnahme ohne behördliche Genehmigung besonders geschützt. Damit sind die Veränderungen der
Waldaußenränder von der Zulässigkeit der Waldumwandlungenn abhängig, die eng mit der Flächennutzungsplanung der Gemeinden korrespondiert. Hier wird die gewünschte Waldgrenze für mindestens ein
Jahrzehnt festgesetzt, weshalb sie, einmal landschaftsgerecht geplant, Bestand haben sollte.
Schlecht bestellt war es jedoch um die qualitative Gestaltung der Waldränder im allgemeinen. Keine Übergangszonen zwischen Flur und Wald, kein Platz für Saumgesellschaften, ausgeblasene
verlagerte Randpartien, an den Waldsaum herangepferchte Nutzbäume, Abfallablagerungen und Pflegerückstände bestimmten das Bild. Insbesondere beiderseits der Straßentrassen braucht der Wald eine
tiefgestaffelte Waldrandzone. Daher werden zukünftig nach der Waldrandinventur Waldsäume artenreich mit standortsgemäßen heimischen Gehölzen und Freiflächen für Bogenvegetation umgestaltet. Der
zweckentsprechend gestaltete Waldrand dient der Stabilität des Waldinnenklimas und dem Schutz des Hochwaldes von außen.
Kämpfen die Forstleute für die Abwehr von Eingriffen in den Außenrand und gegen Trassenaufhiebe in das Waldgefüge, so müssen sie sich bei Waldwiesen aktiv gegen eine Waldsukzession infolge
Verbrachung der Wiesen zur Wehr setzen. Waldwiesen unterliegen dem Schutz des Forstgesetzes. Die Abgelegenheit, häufige Vernässung und Unterlassung der Düngung machen sie zu einem Dorado für
Pflanzen und Tiere, das aber nur stabil bleibt, wenn unsere Waldwiesen gepflegt werden.
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Das Naturschutzgesetz gibt zwar den Gemeinden mit der Pflegepflicht Handhaben zur Wiesenpflege gegenüber Eigentümern und Nutzungsberechtigten, von diesen Möglichkeiten wird jedoch bisher kaum
Gebrauch gemacht.
Im Rahmen des Vertragsnaturschutzes versucht das Forstamt im Vorfeld hoheitlichen Handelns auf staatlichen Flächen interessierte Landwirte und Pflegeorganisationen zu beschäftigen.
Gemeindeflächen und Wiesen privater Eigentümer verbrachen jedoch zusehends. Hier soll das zur Zeit in Aufstellung befindliche „Waldwiesenkataster" Hilfen für die Pflegeplanung und den
Sukzessionsstop bringen. Langfristig Abhilfe wird jedoch nur die Bildung eines Zusammenschlusses aller Beteiligten bieten, da infolge des Flächenstillegungsprogrammes der EG die Nachfrage nach
Gründland weiter schwinden wird.
Die Waldwiesen sind prägender Bestandteil des Waldlandschaftsbildes, für den Erholungswert der Landschaft unverzichtbar und wesentliche Grundlage für die Ausgewogenheit des Naturhaushalts mit
ihren vielen seltenen oder bedrohten Arten, die dort leben. Daß sich hier ein reiches Betätigungsfeld für die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule bietet, die
inzwischen den Darmstädter Wald als Freilandlabor für angewandte Fragestellungen nutzt, liegt nahe.
Auch die Landschaftsökologie besinnt sich allmählich darauf, daß Natur- und Kulturgeschichte eine grundlegende Bedeutung für das Verständnis der zukünftigen Entwicklung im Naturhaushalt haben. Neben den bereits beschriebenen waldbaugeschichtlichen Abläufen bestimmen historische Faktoren das Geschehen im Lebensraum Wald, die unverzichtbar zur Grundlage forstlicher Entscheidungen im Walde herangezogen werden müssen. An wenigen Beispielen soll dies beschrieben werden.
Der aus dem 12. Jahrhundert stammende Landwehrgraben markiert noch heute als Waldflurdenkmal die Gemarkungs-/Forstamtsgrenze im Osten und Norden auf ca. 20 km Länge.
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Diese Grenze, zum Teil als Bach vorhanden, als Graben erhalten oder in Rudimenten zu erkennen, wurde vor 65 bis 33 Jahren also zwischen 1923 und 1955 mit Fichte, Kiefer und Pappel aufgeforstet,
obwohl in der Umgebung ein hervorragend gepflegter Eichen - Hainbuchenwald stockt und die Fichten, Kiefern und Pappeln wegen ihrer Windwurfgefährdung als außerordentlich labil gelten. Obleich
forstliche Maßnahmen zumeist aus räumlicher Sicht geplant werden, sollte hier der linienhafte Charakter der Grenze Vorrang erhalten.
Durch Sanierung der alten Grenze, Pflege der wenigen Altbäume, Öffnung der Blickverbindungen und Dokumentation soll der Landwehrgraben als kulturgeschichtlich bedeutendes Waldnaturdenkmal wieder
entwickelt werden.
Neben der Baumartenzusammensetzung prägen Wege, Kreuzungssysteme und Ausblicke das räumliche Bild des Kulturwaldes. Gerade kulturhistorisch hochstehende Räume wie die Wilde Fasanerie hinter der
Gichtmauer, das Wildschutzgebiet Kranichstein und das Waldgebiet um das Jagdschloß Kranichstein werden belebt und erfahrbar durch ihre Wegeführung, Kreuzungen und die Blickverbindungen.
Straßenbauten, Forstwegebaumaßnahmen für den Holztransport und unterbliebene Pflege alter Sichtbeziehungen haben dem Wald ein anderes Gesicht gegeben.
Standorte mit kulturhistorischer Bedeutung, wie der Schneisenstern an der Dianaburg, sind verblaßt. Der Bau der Landstraße von Kranichstein nach Messel hat die Landschaft ebenso verändert, wie
die auf den Schloßerker zulaufenden Wegeverbindungen mit Zentrum zur Kernschneise nur noch auf der Karte zum Kulturdenkmal in Verbindung zu bringen sind. Der Waldbesucher kann sich die
standörtliche Bedeutung der Landgräflichen Jagdschirme, von denen noch drei erhalten sind, kaum noch erklären, weil sie inzwischen von Wald umgeben sind. Ebenso die Jagdpavillons Diana- und
Alexanderburg, die vormals malerisch am Waldrand gelegen waren, sind durch Aufforstungsmaßnahmen ihres freien Ausblickes beraubt worden. Das Land Hessen hat zwischenzeitlich aus Mitteln der
Denkmalspflege deren baulichen Zustand saniert, jedoch die Umgebung nicht neu gestaltet.
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Katasterbezeichnungen und Schneisennamen rufen die Erinnerung daran wach, welche Einrichtungen zur höfischen Jagd, Wildhege und Tierhaltung einst das Gebiet des Jagdschlosses Kranichstein
umgaben. Wald und Forstwirtschaft haben hier vieles verändert. Maßvolle, nicht streng historisierende Maßnahmen könnten verborgene kulturgeschichtliche Merkmale wiedererwecken und
Blickverbindungen herstellen. Im Jahre 1990 soll das Jagdschloß Kranichstein als Baudenkmal saniert sein. Das Denkmalschutzgesetz hebt mit Recht auf den Schutz und den Entwicklungsbedarf der
Umgebung des Denkmals ab. Darum hat sich das Forstamt Darmstadt entschlossen, zugleich neben der Sanierung des Baudenkmals einen Entwicklungsplan für die Umgebung des Kulturdenkmals Jagdschloß
Kranichstein zu erstellen und entsprechende Maßnahmen zu verwirklichen.
Herzstück der landschaftsgeschichtlichen Erschließung eines Raumes ist die Dokumentation der Kulturdenkmale und deren Funktion in der Vergangenheit. Dabei können die Gegenwart und die Zukunft in die Darstellungen einbezogen werden, weil nur auf diese Weise bleibende Zusammenhänge vermittelt werden können. Naheliegend für das Geschehen um das Jagdschloß Kranichstein ist die Dokumentation von Jagd in der Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft in einem Jagdlehrpfad. Daher sind bereits mit den Vertretern des Denkmalschutzes Vorbereitungen eingeleitet worden, auf einem Lehrpfad, ausgehend vom Jagdschloß Kranichstein, der
Bevölkerung die Belange der Jagd zu vermitteln. Hier wird das im Jagdzeughaus untergebrachte Lehrrevier des Landesjagdverbandes Hessen ebenso einbezogen werden wie das jagdwissenschaftliche
Institut der Georg-August-Universität Göttingen.
Oberstes Anliegen des Forstamtes ist es jedoch, ausgehend von den jagdhistorischen Sammlungen im Jagdschloß, dem Besucher Eindrücke aus kulturhistorischen Merkmalen und der Landschaft zu
vermitteln, wie die Menschen jagdliche Traditionen und die Hege des Wildes in ihrer Zeit angewandt haben und verwirklichen wollen.
Der Darmstädter Wald ist ein Werk des Menschen. Keine Einrichtung bezeugt dies so nachhaltig wie die Gestaltung der Waldwiesen oder die Anlage der zahlreichen Teiche im Walde.
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Der Wildwiesentypus mit seinen geschwungenen Linien, dem mitten hindurchführenden Weg mit alten Alleebäumen und der Farbenvielfalt der Feuchtwiesenvegetation ist ebenso wahrnehmbar wie der am Wiesenrand stehende Eichensolitär, der das Alter der Wiese markiert und Zeugnis von einer hochstehenden Landschaftsästhetik des Hessischen Herrscherhauses ablegt. Hier gilt es das Überlieferte zu pflegen und zu bewahren, Fehlendes zu ergänzen und der Eroberung durch Erlenaufschlag zu begegnen. Die landgräflichen Teiche sind überwiegend noch erhalten, Fischereinutzung ist in den Hintergrund getreten, Übernutzungen durch Angelsportvereine, die vielfach den Naturhaushalt beeinträchtigen, werden abgewehrt. Auch ein Teichkataster sollte Bestehendes dokumentieren sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen aufzeigen. Gleiche Bedeutung für das Gesicht der Landschaft haben die vielen Bachtäler, die die Landschaft durchziehen. Die Silzwiesen, Scheftheimer Wiesen, Hegbachaue sind als (geplante) Naturschutzgebiete naturkundlich hoch bedeutsam und von hervorragender Schönheit geprägt. Ihnen gilt das fachliche Augenmerk der oberen Naturschutzbehörde einschließlich der sie umgebenden Feuchtwaldgebiete.
Naturschutzverbände plädieren seit ca. fünf Jahren dafür, daß man alte Bäume nicht nutzen sollte und den Totholzanteil im Walde erhöhen sollte.
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Wilhelm Andres hat beschrieben, daß im Gegensatzz zu den benachbarten Isenburgern - trotz größter Finanzknappheit - sich das Großherzogliche Haus nicht entschließen konnte, die Alteichen an die
Holländer zu verkaufen. Andere Chronisten berichten, daß jeder Forstarbeiter seinen Broterwerb riskierte, wenn er sich an alten Bäumen verging.
Liebenswerte alte Bäume, andernorts mit der Lupe in der Landschaft des Hessenlandes gesucht, befinden sich im Darmstädter Wald in großer Zahl, man könnte mit ihnen dicke Bücher füllen und hätte
nicht alle erfaßt.
Galt bis zu den Zwanziger Jahren der erhabene Solitär, geschützt als Naturdenkmal, dem Augenmerk der Förster, so bürgerte sich seit 1945 im Kranichsteiner Forst eine Tradition zum Flächenschutz
alter Eichen- und Buchenbestände ein. Aus der Vogelperspektive gesehen, wirkt dieses Areal wie ein geschlossenes Hochwaldsystem von Uraltbäumen, das Förster vor der Holznutzung bewahrt haben, um
darunter den jungen Wald auf großer Fläche nachwachsen zu lassen. Es bedurfte in diesem Landschaftsraum keines Altholzinselprogrammes. Die Einbeziehung des Altbestandes in den Verjüngungsvorgang
ist hier auf großer Fläche Tradition. Eindrücke parallel zur Landstraße nach Messel vermitteln handgreiflich die Vision eines alt- und totholzreichen Waldbaues, wie er nach den Anforderungen der
Grundsätze und Leitlinie „Wald und Naturschutz" landesweit einmal verwirklicht werden soll.
Die natürliche Vegetation im Naturraum Messeler Hügelland ist Laubwald. Fichte, Kiefer, Lärche und fremdländische Nadelgehölze gedeihen hier wegen wechselfeuchter Standortsbedingungen nur mit
Mühe und verfälschen das Landschaftsbild.
Wenig Berücksichtigung fanden bisher die Quell- und Uferbereiche der Waldbäche. Sie sind des öfteren mit Fichte, Pappel oder Buche künstlich bewaldet, und die natürliche Erlen-Eschenvegetation
ist verdrängt. Der Waldbaum wechselfeuchter Standorte ist die Stieleiche, vergesellschaftet mit Buche, Hainbuche oder Edellaubholz (Kirsche, Ulme, Linde, Ahorn). Als dienende Baumart entwickelt
sich die Elsbeere an wärmeren Standorten natürlich.
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Die bisherige Aufzucht der Eichen-Hainbuchenwälder erfolgte überwiegend über die Kahlschlagwirtschaft (Eiche ist ein Lichtbaum). Naturverjüngungen und sanfte (nicht kahlschlagbedingte) Übergänge
sind selten. Der Übergang von Hochwald zur Verjüngung ist ein krasser Eingriff. Im Eichenoptimum des Messeler Hügellandes hoffen Forstleute nun neue Methoden zu entwickeln, wie der Übergang vom
Altholz zum Jungholz sanfter gestaltet werden kann und wie Freilandeffekte der Eichenkultur vermieden werden können. Dies ist ein neuer Weg, der methodisch erst abgesichert werden muß, ehe
Verfahren den Grad der Gesetzmäßigkeit forstlichen Handelns erreichen können. Fest steht der Entschluß, daß jede Form der naturnahen Waldwirtschaft den Vorzug genießt vor allen Techniken, die
eine gesicherte und effektive, aber mit starken Eingriffen in den Naturhaushalt verbundene Wirtschaftsweise bisher den Forstleuten abgenötigt hat.
Wir, die Revierleiter und die Forstamtsleitung, sind überzeugt, daß neue Methoden für eine sanfte Forstwirtschaft gefunden werden können und daß auf der Vorgabe für standortsgerechte
Wirtschaftsweise besondere Wege beschritten werden können, die dem kulturellen Erbe dieses Waldes besser als bisher gerecht werden.
165jährige forstliche Tradition im Waldbau und eine sehr viel ältere Hofjagdgeschichte sowie die Parameter der natürlichen potentiellen Standortsverhältnisse geben uns Leitlinien für die Vereinigung von Natur, Kultur- und Forstwirtschaft, wie sie andernorts kaum weitreichender nachvollzogen werden können. Der Dank dafür gebührt Wilhelm Andres, der als Heimatforscher den Bürgern viele Erkenntnisse vermittelt hat. Den Forstleuten hat er einmal mehr aufgezeigt, daß der Wald ein Medium der Geschichte und der Zukunft zugleich ist.
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